Sonntag, 25. Juni 2017

Insektensterben in Deutschland- nur ein Mythos?

Im Moment begegne ich häufig dem Satz "Dramatisches Insektensterben in Deutschland". Ist da wirklich was dran, oder ist es gar nicht so schlimm? 


Dieser Frage möchte ich hier für den Bereich NRW/ Ruhrgebiet ein wenig auf den Grund gehen, nicht zuletzt, weil ich selbst versuche, mein kleines Garten- Ökosystem so insektenfreundlich wie möglich zu gestalten (siehe dazu auch meinen Artikel "Lebensräume im Kleingarten").

Sumpfschwebfliege
Ich biete über das Jahr in meinem Kleingarten Lebensräume für Insekten und Vögel an- beides wurde in den vergangenen Jahren auch dankbar von den verschiedensten Spezies angenommen. Bis zum letzten Jahr hatte ich sogar den Eindruck, dass es eine größere Vielfalt an Bewohnern gab. Ich kenne die Anlage und den Garten seit ca. 35 Jahren und kann zwar keine Statistiken von Jahr zu Jahr vorweisen, beobachte jedoch intensiv die Entwicklung.

Im Gegensatz dazu nehme ich wahr, dass die Insekten und somit auch die Singvögel, die in der Innenstadt leben, unfassbar zurück gegangen sind.

Insektenecke im Juni, Phacelia und Kamille
Dann habe ich bei einer Sendung Professor Peter Berthold in einem Interview gesehen, der mir quasi die Augen geöffnet hat, wie schlimm es mittlerweile um die Bestände bestellt ist- und die Vermutungen der Nabu bestätigen, dass vermutlich ein hoher Einsatz an Pestiziden mitverantwortlich ist.

Blühender Rotkohl
Seit dem letzten Jahr kann ich diese Entwicklung nun auch in meinem Garten beobachten. Ich biete 2 Nistkästen an, diese sind bislang jedes Jahr von den Meisen angenommen worden, nicht jedoch in diesem Jahr. Auch die Beobachtungen der bunten Vielfalt an Singvögeln ist zurück gegangen. Lediglich ein paar Blau- und Kohlmeisen, Amseln, Elstern, Raben, ein Taubenpaar... das war es. Im größeren Umfeld der Anlage ein Grünspecht, ein- zwei Buntspechte, vereinzelte Braunellen, Rotkehlchen, Buchfinken- jedoch in einer Anzahl, die keinen Vergleich zu dem Stand vor ca. 20 Jahren zulässt. Gimpel, Spatzen oder Stare? Fehlanzeige, die habe ich schon seit Jahren in beiden Mikrokosmen (Garten/ Stadtwohnung) nicht mehr gesehen.

Teichjungfer
Fast ein wenig wie auf der Arche- von jedem nur 2 Exemplare. Ja, ich kann bestätigen, dass es viel weniger Singvögel in dieser Gegend gibt, als noch vor beispielsweise 10- 20 Jahren- und es werden von Jahr zu Jahr weniger.

Fingerhut
Da die Singvögel tierisches Eiweiß in Form von Insekten benötigen, diese aber scheinbar zurück gegangen sind, ist es nur logisch, dass auch die Vogelpopulationen schwinden. Und da kommt das Insektensterben wieder ins Spiel. Durch akurat gepflegte Ziergärten, die nur nach den minimalsten Anforderungen einer Kleingartenanlage bewirtschaftet werden, sterben diese Gärten. Und ein toter Garten wird nicht gern besiedelt- bietet er doch noch nicht einmal genügend Unterschlupf, geschweige denn Nahrung- und jeder insektenvertilgende Vogel hat plötzlich ein Problem.

Kamillenmönch
Nun ist ein Kleingarten oder auch ein Hausgarten in der Regel nicht vergleichbar mit den vorhandenen Flächen, die z.B. ein großes, landwirtschaftliches Feld bietet. Leider werden die Insekten dort mit Schädlingsbekämpfungsmitteln ausgerottet- und hier sehe ich meine Verpflichtung, einen Gegenpol zu bieten- kleine 400qm gegen hektargroße Gebiete...  ein Kampf gegen Windmühlen.

Wickenerdfloh
Wer in den letzten 20- 30 Jahren in der Lage war, seine Umwelt bewusst zu erleben, der wird sich daran erinnern, dass in der Nacht die Straßenlaternen von unzähligen Nachtfaltern und anderen lichtliebenden Insekten besucht wurden. Und eine Autobahnfahrt hatte zur Folge, dass die Windschutzscheibe im Anschluß von toten Insekten befreit werden musste. Ohne Fliegengitter konnte nach Einbruch der Dunkelheit kein Fenster mehr geöffnet werden, weil sonst die Invasion von den unterschiedlichsten Insekten begann. Der Sommerflieder (auch Schmetterlingsflieder genannt) wurde so stark frequentiert, dass man vor lauter Faltern kaum noch die Blüten erblicken konnte.

Und heute in der Stadt? Ich kann die Fenster ohne Gitter öffnen, noch nicht einmal ein paar Fliegen verirren sich mehr unter der Lampe. Laternen leuchten ohne Besucher und nach einer Autobahnfahrt sieht meine Scheibe aus wie zuvor.  
Weichkäfer auf Teefenchel
 Im Gegensatz dazu der Garten: Vermutlich hatten die späten Fröste im Frühjahr 2017 zur Folge, dass auch die Insekten zeitverzögert zu beobachten waren. Zunächst ließ dies den Schluss zu, dass kaum noch Insekten vorhanden waren. Im Juni/ Juli jedoch summte es plötzlich wieder- in einer noch bunteren Vielfalt als in den Jahren zuvor. Die unterschiedlichsten Pflanzenarten, die ich im Laufe der 5 Jahre neu gepflanzt und gezogen habe, locken nun auch die unterschiedlichsten Insekten an. Die erste Kamillenmönch- Raupe, die erste Sumpf- und Hornissen- Schwebfliege. Eine Gallwespenpopulation auf dem Teefenchel, viele Hummeln, Bienen und Hornissen.
Harmlose Feuerwanzen auf einem Kürbiskern
A pro pos Bienen: Von den ganzen Bienenprojekten bin ich persönlich übrigens nur insofern überzeugt, dass diese Maßnahmen hoffentlich auch für andere Insekten hilfreich sind. Es sind eben nicht nur die Bienen, die uns kümmern sollten.

Hummel in warnender Abwehrhaltung
Ich versuche nunmehr seit 5 Jahren einen Lebensraum für Mensch und Tier in diesem Garten zu schaffen und merke von Jahr zu Jahr, dass es sich gut entwickelt. Allerdings ist der momentan noch zu beobachtende Rückgang der Singvögel ein Zeichen dafür, dass es (noch) nicht ausreicht. Dazu werde ich im kommenden Jahr berichten, da mehrere Faktoren in diesem Gartenjahr eine Rolle gespielt haben: Späte Fröste, davor ein sehr warmer März/ April, lange Trockenheit gefolgt von langer Feuchtigkeit- insgesamt ein ständiger Extremwechsel, dem vielleicht auch die ein- oder andere Brut zum Opfer fiel.

Dennoch: Ein toter Garten ohne Lebensräume wird nicht besiedelt- und hier sind wir wieder bei 400qm gegen hektargroße Felder, die in keiner Weise ökologisch bewirtschaftet werden.

Schwebfliege
Kann jeder etwas beitragen? Mit Sicherheit- und wenn es "nur" die Beteiligung an allen möglichen und unmöglichen Petitionen ist- die Felder müssen wieder "sauber" werden, das ist in meinen Augen das allerwichtigste!!! Wer einen Garten hat, sollte "unaufgeräumte" Flächen und Lebensräume anbieten, und wenn es nur eine kleine Ecke irgendwo außerhalb des Sichtbereiches ist. Hecken sollten breit genug sein, so dass Vögel dort Schutz finden (ein schmaler Streifen nutzt da nüscht). Die Unkrautbekämpfung sollte nicht mittels Pestiziden vorgenommen werden- wobei dies ja auch eigentlich im Interesse jedes Gartenbesitzers sein müsste. Heimische Blühpflanzen sind toll und bereiten auch dem Menschen viel Freude, geschossenes Gemüse kann man auch mal stehen lassen, die Blüten bieten Nahrung im späten Gartenjahr- ich habe noch nie eine Unkrautinvasion durch Salat oder Brokkoli im Folgejahr gehabt. Und: die Ganzjahresfütterung von Vögeln ist zumindest in bestimmten Gebieten mehr als wichtig geworden- zumindest so lange, bis es wieder ausreichend Futter in freier Wildbahn gibt. Nein, das Insektensterben ist kein Mythos- es ist zumindest in manchen Gebieten bittere Realität.

Weiterführende Links in diesem Blog:
Insektenfreundliche Projekte für Lebensräume über das ganze Jahr
Do it Yourself Wildbienenhotel aus alten Wurzeln

Weiterführende, externe Links:
Insektensterben (wikipedia)
Professor Peter Berthold (wikipedia)
Nabu Homepage

Nachtrag: Ich habe den Artikel im Oktober 2017 aktualisiert, da ich im späten Frühjahr zunächst in der fehlerhaften Annahme war, dass sich kaum noch Insekten in meinem Garten befinden würden. Dies hat sich dann jedoch im Sommer wieder ausgeglichen. In jedem Fall ist es aber Fakt, dass die Gärten, die "sauber" und pflegeleicht daher kommen, zu wenig Raum für Tiere und Insekten bieten. Letzte Presseveröffentlichungen stimmen den Beobachtungen vieler Menschen zu, dass in den letzten 20- 25 Jahren ein Insekten- Rückgang von 75% stattgefunden hat. Wenn Gärten also eine Zuflucht bieten können, dann sollten wir mit unseren kleinen Möglichkeiten alles tun, damit die Rückkehr zu einer ökologischen Landwirtschaft ohne zu große Einbußen stattfinden kann.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen